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Theodor Storm: Die Neuigkeit
Heiligenstadt im Eichsfeld
Veröffentlicht von Thomas Schuster in Zeitgeschehen · Sonntag 04 Feb 2024
Tags: TheodorStorm
„Im Kruge am Fenster saßen drei Gäste, die eben aus der Stadt zurückgekommen waren, sie unterhielten sich leise, aber eifrig. Der kleine krummbeinige Krüger mit der weißen Zipfelmütze ging neben den Tischen auf und ab und suchte vergebens seinen Anteil von den Neuigkeiten abzubekommen. Die am Fenster waren unbarmherzige Menschen; je mehr der Krüger die Ohren spikte, desto flüsternder und eifriger wurde das Gespräch. Es war nicht mehr zum Aushalten; endlich ging dem Krüger die Natur durch, er stand entschlossen still und fragte:

„Ist da was Neues passiert in der Stadt, Jochen Petersen?“

„Was Neues, nein, Karsten; Neues ist da eigentlich nicht passiert.“

Aber die Unterhaltung am Fenster wurde trotzdem immer eifriger und immer leiser. Der gequälte Krüger faltete die Hände auf dem Rücken und setzte seinen trostlosen Spaziergang fort. Aber nein, es war platterdings unmöglich. Noch einmal wandte er sich an die Unmenschen:
„Kann ich denn nicht ein bißchen teil daran nehmen, was da Neues in der Stadt passiert ist?“

„Ja - das kann Karsten gewiß“, antwortete Jochen Petersen, wandte aber in demselben Augenblick dem Frager den Rücken zu. Das war zuviel.

„Mein Gott, schrie der kleine Krüger, „was ist da denn passiert, Jochen Petersen?“

„Ja, Karsten, das ist eine dumme Geschichte!“

„Eine dumme Geschichte, Jochen Petersen?“

„Ja -, Karsten, sie wollen den Nachtwächter nicht begraben.“

„Den Nachtwächter nicht begraben, Jochen Petersen? Das ist ja was Außerordentliches!“

„Sie wollen ihn aber doch nicht begraben. Sie sind damit schon beim Landvogt gewesen und beim Amtshaus. Aber das hilft alles nichts, sie wollen ihn doch nicht begraben. Und nun sind sie damit an die Regierung gegangen."

„Was Jochen nicht sagt! Das ist ja ganz was Außerordentliches. Aber, mein Gott, warum wollen sie den Nachtwächter denn nicht begraben?“
„Ja, Karsten - weil er nicht tot ist.“

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Quelle: Thüringer Fähnlein: Monatshefte für die mitteldeutsche Heimat Nr. 1/1938, - Theodor Storm – Bild: KI 2024 © Thomas Schuster Heiligenstadt


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