Über die "Alte Burg"
Nicht nur Riesen soll es in unserer Gegend gegeben haben, sondern auch Zwerge. Wie die "Alte Burg" entstanden ist, berichtet eine Sage:
Als einmal ein König, vielleicht war es Dagobert, sich hier niederlassen wollte, brauchte er eine Wohnung. Am liebsten hätte er sich eine Burg bauen lassen. Stein und Sand, gab es an dieser Stelle zur Genüge - jedoch keine Leute, die beim Bau hätten helfen können. Sein Hofgesinde verstand nichts von schwerer Arbeit und außerdem wurden dabei die Hände schmutzig, und das hatten die Leute vom Hofgesinde nicht gern.
Der König war schon traurig darüber, dass er diesen Ort, der es ihm so angetan hatte, wieder verlassen sollte. Eines Tages machte er einen Rundgang, um von der wunderschönen Gegend Abschied zu nehmen, als ihn irgendetwas an seinem Unterrock festhielt. Da er glaubte, sein Kleid habe sich in einer Dornenranke verfangen, griff er, ohne hinzuschauen, nach der Stelle, um sich zu befreien. Wie erstaunt war er aber, als er etwas Warmes, etwas wie eine menschliche Hand zu fassen bekam. Verwundert schaute er an sich hinunter und sah neben sich einen Zwergenkönig stehen. Er war darüber so überrascht, dass er zunächst kein Wort herausbrachte, denn auch Könige können manchmal sprachlos sein. Der Zwergenkönig sagte ihm, er kenne seine Sorgen, und wenn es recht sei, würde er ihm gern helfen. Der König schaute den Kleinen erstaunt an und wusste nicht recht, was er sagen sollte. Doch der Kleine redete weiter und meinte, er würde ihm eine Probe liefern. Am nächsten Morgen sollte der König der Menschen mit seinem Gefolge zur schönsten Stelle des Plateaus kommen, er würde sehen. Dann raschelte es im Gebüsch und der Zwergenkönig war verschwunden.
Ungläubig kehrte der einsame König zu den Seinen zurück, gespannt, was er am nächsten Morgen erleben würde. Als er mit dem Hofstaat zu der bezeichneten Stelle kam, stand dort zur Verwunderung aller eine Kapelle. Zunächst trat der Hofprediger ein und fand alles wie in einem richtigen Gotteshaus.
Nach dieser Probe bestimmte der König, es solle an dieser Stelle eine Burg gebaut werden. Das Hofgesinde raunte etwas von Zauberei, aber man meinte, da zunächst eine Kirche entstanden sei, könne es sich nur um einen guten Zauber handeln. Von seiner Begegnung hatte der König noch nichts verlauten lassen. Im Lauf des Tages unternahm er mehrere Spaziergänge in der Hoffnung, seinen kleinen Freund wieder zu treffen. Doch erst am Abend machte er sich wieder bemerkbar. Der König bedankte sich bei dem Zwerg und fragte, warum er denn als erstes eine Kapelle erbaut habe? Zur Antwort bekam er, es sei bei den Franken doch üblich, als erstes Gebäude einer neuerbauten Pfalz eine Kirche zu errichten. Über diese Antwort, war der König sehr verwundert, denn es stimmte, was der Zwerg gesagt hatte. Dieser redete nun weiter und machte zur Bedingung, daß es eine Woche hindurch niemand, weder dem König noch dem Gefolge erlaubt sein solle, sich bei der Kapelle sehen zu lassen. Der König hatte zwar für diese Anweisung Verständnis, fühlte sich aber nicht ganz wohl bei der Sache, da er nicht wusste, ob das Ganze nicht ein Teufelspuk sei. Daher fragte er den Kleinen, welchen Lohn er denn für seine Hilfe begehre und bekam darauf die Antwort, es gäbe nur eine Bedingung: Den Zwergen sei es erlaubt, in der neuen Burg sich nachts in Küche und Keller nützlich zu machen. Verwundert meinte der König, das sei ein eigenartiger Lohn für so mühevolle Arbeit. Der Zwergenkönig erwiderte, das Zwergenvolk begehre keinen Lohn, es wolle nur Arbeit für seine fleißigen Hände. Allerdings gehöre zu der gestellten Bedingung, dass niemand die Kleinen bei ihrer Arbeit zusehen dürfe. Dies müsse der König versprechen. Werde das Versprechen nicht eingehalten, müssten die Zwerge für immer davonziehen, und alles, was sie geschaffen hätten, würde in nicht allzu langer Zeit wieder vergehen.
Gern ging der König auf die Bedingungen der Zwerge ein und versprach, dafür zu sorgen, daß alle Anweisungen genau befolgt würden. Erwartungsvoll besuchte nach der angegebenen Zeit der Hofstaat die Kapelle und fand alles so, wie der Zwergenkönig es vorhergesagt hatte; Bei der Kapelle stand eine Burg - nicht riesengroß, denn Zwerge hatten sie ja erbaut - aber mit allem versehen und eingerichtet, was ein Königshof in damaliger Zeit brauchte.
Die Zwerge waren ein fleißiges Völkchen. Wie es ihr König versprochen hatte, versorgten sie Küche und Keller, und alles war gut: die Vorräte gingen nicht aus; wenn es Zeit zur Ernte war, schafften sie herbei, was ausgegangen war - in der Küche fehlte es nicht an Gewürzen, welche die Speisen schmackhaft machten - die Holzvorräte vor den Kaminen wurden immer aufgefüllt, wenn die Zeit des Heizens kam - und alle waren zufrieden, über die vielen Annehmlichkeiten, welche die Zwerge verschafften.“
„Jahre waren inzwischen vergangen. Die Menschen auf der Burg lebten nicht ewig - wenn sie alt geworden waren, starben sie und junge Leute füllten Ihre Plätze aus. So wurde eines Tages eine Dienstmagd eingestellt, die sehr neugierig war. Sie erlebte, dass im ganzen Hause alles vorzüglich klappte, dass alles an Ort und Stelle war, was gebraucht wurde, und sie konnte sich nicht erklären, warum das so war. Zwar befragte sie sich bei den anderen Mägden, aber keine sagte ihr etwas von den Zwergen, weil jede befürchtete, dass die fleißigen Helfer vertrieben werden könnten. Weil ihr niemand etwas sagen wollte, dachte sie an Zauberei. Doch so viel sie auch beobachtete, niemals konnte sie etwas Verdächtiges feststellen. Das war so, weil die Zwerge nur nachts an ihre Arbeit gingen, denn sie wollten ja von niemandem gesehen werden.
Eines Tages tat die neugierige Magd etwas Verbotenes. Es war den Bediensteten nämlich nicht erlaubt, sich weit von dem Schloss zu entfernen, da der König befürchtet, es könnte sonst die Zwergen höhle entdeckt werden und etwas Schlimmes geschehen. Die Magd nun hatte sich entfernt und auf ihrem Spaziergang einen Felsenspalt entdeckt, der wie ein Eingang aussah. Sie wollte hinein gehen, doch wurde der Spalt so eng, dass ein weiterkommen nicht möglich war. Jedenfalls war sie aufmerksam geworden und gönnte sich keine Ruhe. Da gar nichts zu erfahren war, versuchte sie mit einer List ihre Neugier zu befriedigen. Eines Tages sprach sie mit einer anderen Magd über irgendetwas Gleichgültiges, und ganz unvermittelt meinte sie, sie habe kürzlich im Wald einen Eingang in den Berg entdeckt... höchst erschrocken rief die andere aus: “Die Zwergenhöhle!”
Die Neugierige tat, als habe sie den Ausruf nicht gehört und redete gleichgültig weiter. Im Stillen aber wusste sie, dass sie nun dem Geheimnis auf der Spur war. Es galt jetzt heraus zu finden wie sie den Kleinen einmal bei ihrer Arbeit zuschauen könnte.
Da erinnerte sie sich, von ihrer Großmutter einmal gehört zu haben, dass Zwerge keinen Schnaps trinken dürften - und wenn sie es doch tun würden, könnten sie nicht mehr laufen und müssten fortgetragen werden. Auf diese Weise wollte sie die Kleinen überlisten und sie beobachten. Kaum hatte sie ihren Plan gefasst, ging sie auch schon daran, ihn zu verwirklichen. Abends, als alle Bewohner der Burg schliefen, stellte sie überall in der Küche kleine Schalen auf, die mit starkem Schnaps gefüllt waren. Und wirklich: es geschah, wie sie es erwartet hatte - die Zwerge wollten wissen, was in den Schalen sei, sie steckten die Finger hinein und führten sie an die Zunge. Kaum hatte der Alkohol ihre Zungen berührt, torkelten sie umher, fielen um und blieben liegen. Andere liefen fort, und die Küche war von einem Piepsen erfüllt, als ob lauter Mäuse unterwegs wären. Gerade wollte die Magd laut heraus lachen, denn der Anblick amüsierte sie, als sie ein Geräusch auf der Treppe hörte. Weil sie nicht gesehen werden wollte, versteckte sie sich schnell hinter der Tür. Es kam aber niemand näher, und so trat sie wieder hervor, um das seltene Bild in sich auf zu nehmen. Ganz enttäuscht war sie, als die Küche leer und von den Zwergen nichts mehr zu sehen war. Zwar sagte sie niemandem von ihrem nächtlichen Erlebnis, doch bald spürte man, dass irgendetwas geschehen sein musste: die Zwerge kamen nicht mehr zur Arbeit, alles, was sie bisher erledigt hatten, blieb liegen.
Zu gern wollte man dem König verheimlichen, dass die sonst so treuen Helfer nicht mehr kamen, aber das ging nicht gut, denn das Holz vor den Kaminen wurde nicht mehr erneuert, das Essen schmeckte nicht mehr, weil die guten Würzkräuter nicht mehr da waren, und die Vorräte in Küche und Keller wurden weniger und weniger. Der König wusste nun, dass auch die Burg, die sein ganzer Stolz gewesen war, zerfallen würde. Er überlegte daher nicht lange, sondern zog mit seinem Gesinde fort zu seinem Sohn, der inzwischen das Reich regierte.
So kommt es, dass von der Königsburg nichts mehr zu sehen ist und nur der Ort, an dem sie gestanden hat, heute noch “Alte Burg” genannt wird.“
Quelle: Rudolf Linge: „Der Hahn auf dem Kirchturm“ – St. Benno Verlag Leipzig 1978 - Bild: Alte Burg © Thomas Schuster