
Thomas Müntzers Jugend in Stolberg
„Der Harz, Stadt Stolberg und Burg Stolberg. Das Jahr 1498. Monat Juli. Weiß und rot blühen die Nelken. Abend.
Mit braunem Schwamme löschte der Westhorizont der Sonne das rote Herz aus.
Das Blut der Sonne gärt nun im braunen Abendschwamm: Anklagensrot!
Dort die Burg: Steil und trotzig im schwarzen Tannengrün.
Berg und Berg trennt ein blaugrauschimmerndes Band: Das liebliche Flüßchen, die Thyra.
Und dort zu beiden Seiten der Thyra das Städtchen Stolberg.
Hohe Stadtmauern mit zahllosen Türmchen und Auslug-Erkern.
Mit brauner Armbrust zielt der gotische Domturm auf ein kreisendes Steinadlerpaar.
Glocken singen wehmütig tiefste Melancholie. Abseits der Stadt ein kahler Hügel: Der Knochenberg.
Raben um den Knochenberg. Viele, viele Raben, fraßsehnend, fraßspähend. Und am Galgen die Leiche eines Gehenkten.
Ein kleiner Wächter bei der Leiche des Windgeschaukelten - ein achtjähriger Knabe, blond, zart, weinend, zitternd: Thomas Müntzer!
Am Galgen aber hängt Matthias Müntzer, sein Vater. Wie kam das?
Matthias Müntzer war ein geschickter Wagenmacher. Mit drei Werkgesellen durcharbeitete er fröhlich den Tag. Abends lohnt ein kühler Trunk im „Mohrenstern“ den Fleiß ehrbarer Arbeit.
Kleines Glück wohnte im gelben Hause des Matthias Müntzer. Das Unglück wohnte im gelben Hause des Matthias Müntzer. Das Unglück neidet dem Glück, sei das Glück auch noch so klein!
In der Burg wohnt der mächtige Gaugraf, der „hochedle“ Herr von Stolberg. Und der Erbgraf heißt Tobias von Stolberg. Der sah des Wagenmachers schöne Tochter Gertrudis.
Und Vater Müntzer schrie: „Mädel, verriegele du gut deine Mitternachts-Kammer! - Die Stolbergs sind mächtig! Die Stolbergs sind geschickte Fänger! Gehen die Stolbergs auf den Fischzug - dann muß zappeln, wer gefangen sein soll!“
Arme Gertrudis! Schade um deine siebzehn Jahre!
Arme Gertrudis! Schade um deinen weißen Nelkenleib! Arme Gertrudis! Aus seiner steilen, trotzigen Burg hat er dich beschmutzt, der „hochedle“ junge Herr, der Erbgraf von Stolberg, der zukünftige Gaugraf. Arme Gertrudis! Du bist nun die Hure derer von Stolberg. Schenkin bist du im Rittersaal. Eine weiße Nelke bei weißen Lilien, eine gebrochene Blüte bei anderen gebrochenen Blüten, den Rittern zur Lust!
Um die Türme der Burg Stolberg schießen schreiend die spitzgeflügelten, tiefblauen Dohlen.
Und Vater Müntzer? Im Gotteskleid des heiligen Sonntags stieg er zur Burg Stolberg hinauf zu fordern sein Kind. Mochte es geknickt sein - aber Kind bleibt doch Kind! Das Burgtor schwieg. Das Burgtor sperrte sich nicht auf. Und Zorn ward im Herzen Müntzers zu Worten: „Fluch und Tod denen von Stolberg!“ Und dann die Fesseln. Und dann der Galgen. Auflehnung gegen die „gotteingesetzte“ Herrschaft: Schmählicher Tod! O Thomas, weine! Thomas Müntzer -ja! - du weintest - aber dann lachtest du: Herb und hart. O Thomas Müntzer, du ekeltest dich vor Gott: Vor Gott dem Lügner, vor Gott dem Nichtschützenden. Und deine Seele zerriß. …“
Quelle: „Der Pflüger“ 1925 Jahrgang 2 von Max Dortu – Bild: Schloß Stolberg 2020 © Thomas Schuster Heiligenstadt
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