Die Heiligenstädter Willkür von 1335 als städtische Gesetzgebung
Veröffentlicht von Thomas Schuster in Heiligenstadt · Mittwoch 22 Okt 2025 · 1:30
Tags: Willkür, und, Einwort, Heiligenstädter, Gesetzbuch
Tags: Willkür, und, Einwort, Heiligenstädter, Gesetzbuch
Ich hatte euch bereits erzählt, dass die Rechtsprechung in Heiligenstadt durch den Vogt der Altstadt und dem Schultheiß der Neustadt erfolgte. Im weiteren Verlauf der Geschichte unserer Stadt wurde eine eigene Gesetzgebung erstellt. Das bedeutendste Dokument im Stadtarchiv Heiligenstadt ist die sogenannte „Willkür“, ein original erhaltenes Gesetzbuch aus dem 14. Jahrhundert.
Heiligenstadt erhielt im Jahr 1227 das Stadtrecht durch Erzbischof Siegfried II. von Mainz, woraufhin sich der Ort rasch entwickelte. Es zeigte sich jedoch bald, dass die landesherrlichen Statuten nicht ausreichten, um die Vielzahl an rechtlichen Fragen angemessen zu regeln. Im Jahr 1335 erstellten daher die Stadtväter gemeinsam mit führenden Bürgern eine auf die lokalen Gegebenheiten zugeschnittene Gesetzesanordnung, die als „Willkür“ bezeichnet wurde. Das Werk umfasst mehr als 160 Paragraphen, abgefasst in der damaligen Mundart, und enthält detaillierte Bestimmungen zu Rechten, Pflichten und Lasten der Bürger, zur Ahndung von Straftaten, zu Aspekten der Rechtspflege sowie zu Privilegien des ausgeprägten Zunftwesens in Heiligenstadt.
Die „Willkür“ bildete die ausschließliche Grundlage für die Rechtsprechung in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten der Stadt. Einwohner waren verpflichtet, dieses Gesetzbuch anzuerkennen und konnten keine alternativen Rechtsquellen heranziehen; rechtliche Entscheidungen erfolgten ausschließlich nach den Artikeln der „Willkür“. Weder das römische noch das kanonische Recht hatten in Heiligenstadt Gültigkeit. Ergänzungen und Modifikationen wurden nach ihrer Einführung mehrfach vorgenommen, und im Jahr 1554 erschien eine erweiterte Version unter dem Namen „Einwort“. 1997 erschien im Verlag Mecke Duderstadt ein Buch zur Willkür.
Quelle: Eigene Aufzeichnungen – Bild: Seite aus der Willkür (Kopie aus dem Buch von 1997)