© www.schuster-heiligenstadt.de
Direkt zum Seiteninhalt
Aus dem Archiv: Winterabende mit frohem Gesang
Heiligenstadt im Eichsfeld
Veröffentlicht von Thomas Schuster in Heiligenstadt · Montag 23 Dez 2024 ·  4:30
Tags: WeinachtenTheodorStorm
Aus der Heiligenstädter Zeit des Dichters Theodor Storm — er wirkte in der Eichsfeld-Metropole acht Jahre als Kreisrichter — sind in später offenkundig gewordenen Bekenntnisbriefen viele edle Merkmale keines Wesens in bisher noch verhüllten Einzelheiten ans Licht gekommen. Man schrieb den 19. August 1856, als der Kreisrichter Storm von der nächsten Bahnstation Göttingen aus In einer altmodischen Holzkutsche den Richteberg hinab durch das alte Holzbrückentor Heiligenstadt zustrebte. Vom Charakter der eichsfeldischen Landschaft war er so ergriffen, daß sein erstes Urteil über sie lautete: „Das Ganze macht trotz der Ärmlichkeit keinen üblen Eindruck, die Berge gucken überall In die Stadt, es muß sich im Sommer hier angenehm im Freien und im Winter heimlich in den Stuben wohnen lassen.“

Enge Kontakte verbanden die Storm-Familie bald mit den Familien von Wussow, Byern und Kaisenberg. Theodor Storm verschloß sich diesen freundschaftlichen Beziehungen nicht, und das öffentliche Leben des Kreisstädtchens nahm ihn mit vollen Armen auf. Neben seiner dichterischen Tätigkeit — er schrieb elf Novellen in seiner Heiligenstädter Zeit — gab er sich auch der bildenden Kunst, dem Gesang und der Musik hin. Eine große Freude und Genugtuung war für den Dichter die Gründung eines eigenen „Gesangvereins“. 1859 gegründet, nahm sein „Singekränzchen“ rapide an Zahl zu, hatte erst 14, dann 20 und später 70 bis 80 Mitglieder. Die Singeabende wurden so behaglich wie nur möglich gestaltet, Die erste Bemerkung datiert unter dem 26. März 1859: „Ich habe ein Singekränzchen gestiftet, daß bei einer Tasse Tee alle Montage bei den Teilnehmern wechselt...“ 4. Mai: „... unsere Teeabende gehen ihren Gang, da nun auch das Byernsche Ehepaar dazugekommen, so kommt es alle 14 Tage rund; alle Montag ist dann Singabend, wo wir, da auch Instrumentalsachen aufgeführt werden, selten vor Mitternacht auseinanderkommen. Es ist aber doch eine Bereicherung des Lebens in unserer kleinen Stadt.“ Großes Interesse zeigte Storm auch anderen Musikern gegenüber, Davon wußte der Obergerichtsadvokat und Musikfachmann Becker aus Oldenburg ein gutes Zeugnis abzugeben. Brachte Storm es doch fertig, abends beim Tee Symphonien von Beethoven aus der Orchesterpartitur fürs Klavier umzusetzen, um sie dann mit Frau und Schwestern zusammen auf zwei Instrumenten zu spielen.

Den Komponisten für Fiedellieder, seinen Vetter Ludwig Scherff, brachte Storm von einem Besuche in seiner Heimatstadt Husum mit nach Heiligenstadt. Neben kleineren Winterkonzerten ließ Storm seinen mittlerweile recht stark gewordenen Gesangverein auch oft im Waide singen. Es war dabei eine bunte Gesellschaft, Handwerker, Kaufleute, Beamte, sogar ein Nachtwächter, der ein vortrefflicher Bassist war, wurden aufgenommen. „Goldene Stunden waren es auch“, so schrieb der Stormfreund Professor Ludwig Pietsch, welcher 1850 in Heiligenstadt weilte, „wenn Storm mir Schumanns oder Schuberts Lieder zum Klavier sang und seine Frau Constanze mit ihrer vollen, weichen Altstimme ihn begleitete.“

Recht anspruchslos wohnten und lebten die Storms, wie aus einer Briefstelle vom November. 1857 zu ersehen ist. ... „Wir wohnen jetzt in der mittleren Wohnstube. Ich arbeite, um Feuerung zu sparen, auch dort, was einigermaßen angeht, da ich die drei Vormittage, die ich nicht im Gericht bin, dort ziemlich ungestört sitzen kann.“ Wenn aber die „römischen Abende“ waren, so nannten sich die Teeabende bei Musik und Literatur, die bei Storm abgehalten wurden, dann öffnete man die Türen der drei ineinandergehenden Zimmer. Am behaglichsten aber soll es In der Storm-Familie in der Weihnachtszeit unter dem Lichterbaum gewesen sein. Storms Dichtung „Unter dem Tannenbaum“ war schon im November 1862 entstanden. Sie wurde von ihm in einem Briefe vom 7. Dezember 1862 als echte „WeihnachtsIdylle“, als ganz besonders „gelungen“ bezeichnet.

Wir lesen dazu in seinem Briefe vom 24.11.1857: „Das Dienstmädchen holt die Kinder ‚Im Mantel‘ fort. Gemeint ist der pelerinenartige Umhang aus buntem Kattun, der hierzulande getragen wird; hoffentlich wird sich Lischen (die kleine Tochter) doch noch am Tannenbaum mit ihrem kleinen Eichsfeldischen Mäntelchen drapieren können.“ Der Zyklus „Unter den Tannenbaum” barg eine Fülle der schönsten Weihnachtsweisen, und neu dabei war wohl vor allem auch Storms Dichtung: „Knecht Ruprecht“, welche bis in unsere Tage hinein sich ihren weihnachtlichen Glanz erhalten hat.
Das sei vor allem von seinen vielen Dichtungen für die Weihnachtszeit herausgegriffen. Diese winterliche Weihnachtsidylle wird noch untermalt durch Storms Brief, in dem es heißt: „... Es war grimmig kalt, als ich aus dem Hause trat; alles schien wie ausgestorben; von dem Berge, der am Ende der Straße die Stadt überragt, sah fast drohend der schwarze Tannenwald hinab. Vor den Fensterscheiben der meisten Häuser saßen die weißen Eisgardinen, denn nicht jeder hatte, wie die Meisterin, die Gerechtigkeit von fünf Klaftern Holz auf dem Hause. ..“.

Schwer wurde dem Dichter der Abschied von Heiligenstadt, als er 1864 wieder nach Husum, der grauen Stadt am Meer, zurückkehrte Er schrieb damals: „Ich gestehe, daß ich fast fassungslos war, als ich das alte Nest verließ, in dem ein nicht unerheblicher Abschnitt unseres Lebens abgelaufen war!“



Quelle: Thüringer Tageblatt 15. Dezember 1983, V. H.



Zurück zum Seiteninhalt