Aus dem Archiv: Sein Posthorn benutzte er fleißig
Veröffentlicht von Thomas Schuster in Eichsfeld · Donnerstag 05 Dez 2024 · 2:00
Tags: Heyerode, Postkutsche
Tags: Heyerode, Postkutsche
„Immer schon waren die letzten Tage vor Weihnachten von geheimnisvollem Zauber umgeben. In früheren Zeiten trugen hierzu auch die Postillione bei. So ist überliefert vom Postillion Heinrich Marx aus dem Südeichsfelddorf Heyerode (er war 1874 geboren und starb 1955):
„... Ich bekam im Monat 53 Mark und fuhr täglich pünktlich mit dem Postwagen von Heyerode über den Gunzelhof (altes Wirtshaus vor Oberdorla) nach Mühlhausen und zurück. Eine 48-Stunden-Woche gab es noch nicht; auch eine Uniform trugen wir nicht, jedoch eine Postmütze, eine Armbinde und natürlich unser Posthorn. Da ich musikalisch begabt war, wurde jede Fahrt zu einem Erlebnis. Mein Posthorn benutzte ich fleißig. Außer den Abfahrt- und Ankunftssignalen habe ich allerlei Lieder geblasen. Die Fahrt von Heyerode nach Oberdorla führte fast ausschließlich durch den Wald, und so waren meine täglichen Mitpassanten viele Spaziergänger, die in die Nähe des Postweges kamen, um den Klängen des Posthorns zu lauschen. Besonders schön war es immer am Heiligen Abend, während überall der Weihnachtsbaum in seiner Lichterpracht erstrahlte, dann erklangen zum Rhythmus der Postkutsche die schönsten Weihnachtslieder im verschneiten Winterwald.“
Da mag wohl in dieser Idyllle der „Knecht Ruprecht“ in der Betrachtung des Postillions aufgetaucht sein, so wie ihn uns der Dichter Theodor Storm in seiner Heiligenstädter Zeit überliefert hat. Übrigens: Dieses Gedicht wurde vom Bruder des Dichters, dem Gärtner Otto Storm, zum ersten Male bei einer Weihnachtsfeier im Rathaus zu Heiligenstadt vorgetragen. Deshalb heißt es im Originaltext „... ich muß aber noch nach Heiligenstadt ... ". Später, als das Gedicht allgemein bekannt wurde, wurden diese Worte dann umgeändert in „... ich muß nur noch in diese Stadt“ (E. Heimatborn 1956).
Unser weihnachtlicher Postillion Heinrich Marx aber fuhr am 30. Juni 1911 zum letzten Male seine Strecke und blies das Abschiedslied „... Behüt dich Gott, es wär so schön gewesen ... “. Nachdem die Bahnstrecke Mühlhausen – Treffurt fertiggestellt worden war, wurden die Posthalterei Heyerode aufgelöst und die Postillione vom Postamt Mühlhausen übernommen. Wir wollen gerade jetzt in der Weihnachtszeit an den aufopferungsvollen Dienst unserer heutigen Postangestellten denken, denn ohne sie würde viel Freude und Poesie am Weihnachtsfest fehlen.
Quelle: Thüringer Tageblatt vom 21.12.1983, V. H.