Aus dem Archiv: Schloß Bodenstein
„Wenn man auf der Chaussee von Worbis nach Duderstadt, ehe man das Dorf Wintzingerode erreicht hat, um eine Waldecke biegt, so bietet sich plötzlich ein überraschend schöner und malerischer Blick auf das altehrwürdige Schloß Bodenstein. Unwillkürlich bleibt man stehen und lenkt seine Blicke zurück in die Vergangenheit; denn die alten Mauern und Gebäude auf bewaldeter Höhe des Ohmberges ragen stolz über die Wipfel der Bäume hinweg und zeigen uns das getreue Bild einer alten Ritterfeste, welche schon viele Jahrhunderte den Stürmen der Zeit getrotzt hat.
Obwohl die Erbauung des Schlosses in graue Vorzeit zurückreicht, wird dasselbe noch heutigen Tages bewohnt und befindet sich im Besitze des alten, eichsfeldischen Rittergeschlechtes der von Wintzingerode, jetzt des Grafen von Wintzingerode. Architektonisch hervorragend kann zwar die Feste nicht genannt werden; denn aus wechselnden Zeiten sind die alten Mauern und Türme zusammengesetzt, aber die unvergleichlich herrliche Lage entschädigt reichlich für das, was ihr an architektonischer Schönheit abgeht. Das den Anforderungen der Neuzeit in seinen inneren Räumen umgebaute und eingerichtete Schloß birgt eine große Zahl von Altertümern und Sehenswürdigkeiten; eine reichhaltige Bibliothek, eine Sammlung berühmter Porträts und anderer Gemälde und ganz besonders ist noch der schönen Schloßkapelle Erwähnung zu tun.
Die einstigen Ritter von Bodenstein werden schon in alter Zeit genannt und sollen die Stifter des um das Jahr 1217 erbauten Klosters Beuren gewesen sein. Später sehen wir das Schloß im Besitze der Grafen von Honstein, welche es wiederum als Erblehen an verschiedene Edelleute vergaben, unter welchen besonders die von Wintzingerode genannt werden (1337 Januar 1.). Vielfach wechselnde Zeiten hat das Schloß durchgemacht in Kampf und Streit; aber niemals soll es eingenommen worden sein, selbst nicht im Bauernkriege, in welchem mit vielen anderen Rittersitzen und Klöstern auch das in der Nähe gelegene feste Schloß oder die Burg Westernhagen ein Raub der Flammen wurde und auch das Kloster Teistungenburg der Verwüstung nicht entging.
Das Geschlecht der von Wintzingerode ist uralt und soll mit den Wenden in diese Gegend gekommen sein, worauf auch die Namen der Patronatsdörfer Wintzingerode und Wehnde hinzudeuten scheinen. Die Oberlehnsherrschaft über Wintzingerode haben die Grafen von Honstein immer behauptet. Im Jahre 1573 übergab Graf Volkmer von Honstein das Schloß samt allen Zubehörungen dem Erzstift Mainz, speziell dem damaligen Kurfürsten Daniel. Als aber 1593 der letzte Graf von Honstein starb, nahm der Herzog Julius von Braunschweig Honstein in Besitz und erhob auch Ansprüche an den Bodenstein, wobei er die Mainzische Hoheit an dem Schloß bestritt. Trotzdem aber blieben die von Wintzingerode noch viele Jahre Herren des Schlosses und wußten sich geschickt der Oberlehnsherrschaft der beiden streitenden Parteien zu entziehen.
Während der Reformation und Gegenreformation auf dem Eichsfelde spielen die von Wintzingerode gleichzeitig mit den von Westernhagen, von Hagen und anderen Edelleuten eine bedeutungsvolle Rolle, wie wir später bei Beschreibung dieser Zeitperiode ersehen werden. Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges erhoben die Herzöge von Braunschweig keine Ansprüche mehr an das Schloß Bodenstein und ist dasselbe von dieser Zeit ab im unumschränkten Besitz der von Wintzingerode geblieben. Als zu dem ehemaligen Gericht Bodenstein gehörig werden außer den beiden Stammgütern Bodenstein und Adelsborn genannt die Dörfer: Kirch- und Kaltohmfeld, Wehnde, Tastungen und Wintzingerode. Diese vorgenannten Besitzungen sowie die Lehnsgüter der von Wintzingerode grenzten mit den ebenfalls sehr bedeutenden Land- und Waldbesitzungen der von Westernhagen aneinander. Auch hatten beide Familien an verschiedenen Orten Allodial- und Lehnsgüter; so in den Wüstungen: Ikendorf, Kamp, Wildungen, Segel, Witzungen, Dautel und ferner im Dorfe Reinholterode usw.
Da die meistenteils von den Äbtissinnen von Quedlinburg ursprünglich herstammenden Lehnsstücke der vorgenannten Wüstungen nicht genau abgegrenzt waren, so führte dies zu ununterbrochenen Grenzstreitigkeiten der Familien Wintzingerode und Westernhagen, welche über ein volles Jahrhundert andauerten und auch nicht einmal dadurch beendet wurden, daß Grenzsteine mit beiderseitigen Wappen aufgestellt wurden. Aber auch über die Kompetenz der Gerichtsbarkeit wurde vielfach gestritten; namentlich bezüglich der Einwohner des Dorfes Reinholterode, woselbst außerdem noch der Kurfürst von Mainz einen Teil der Gerichtsbarkeit beanspruchte.
Diese unerquicklichen Verhältnisse haben aber das sonst gute Einvernehmen zwischen beiden Familien nicht getrübt da vielfach gemeinsame Interessen dieselben miteinander verbanden und zusammenführten.
Quelle: Max von Westernhagen: „Geschichte der Familie von Westernhagen auf dem Eichsfelde“ – 1909 (Reprint 2003) – Bild: Burg Bodenstein 2023 © Thomas Schuster Heiligenstadt