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Aus dem Archiv: Friedrich Wilhelm Grimme über die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Eichsfeld
Heiligenstadt im Eichsfeld
Veröffentlicht von Thomas Schuster in Eichsfeld · Freitag 10 Okt 2025 · Lesezeit 2:15
Tags: AnwerbungvonArbeitskräften
„Friedrich Wilhelm Grimme, geb.25.12.1827 in Assinghausen/Olpe, 1872 bis 1885 Direktor des Gymnasiums in Heiligenstadt, der Dichter des Sauerlandes, veröffentlichte 1883 in „Deutsche Heimat“ seine Eindrücke über „Das Eichsfeld und seine Bewohner“. Er schrieb: „Es kommen jährlich schon in der Mitte der Wintermonate die Verwalter und Agenten der größeren Güter und Zuckerfabriken aus den Provinzen (Westfalen, Sachsen und Hannover), um sich durch Massenkontrakte für die Bestell- und Erntezeit, namentlich für die Zucker- und Rübenkampagne, das nötige Kontingent zu sichern. Das gibt förmliche Arbeiterinnenmärkte, die Schelle des Dorfpolizeidieners oder sein Gang von Haus zu Haus entbietet die Auswanderungslustigen für den nächsten Sonntag nach dem Hochamte in das Gemeindewirtshaus, und der Agent hält vor dichtgefüllten Bänken seine Werberede und läßt dabei das Glas mit süßem Kirschwasser fleißig die Runde gehen. Die Kandidatinnen aber hören sich sehr nüchtern und ruhig seine Propositionen an, blinzeln sich je nach Gefallen oder Mißfallen zustimmend oder ablehnend zu, und die Redegewandteste nimmt nun für sich und ihre Kolleginnen das Wort, meistens in folgenden Fragen bestehend: Ist an dem Orte oder in der Nähe eine katholische Kirche? Werden wir auf Strohsäcken oder Sprungfedermatratzen schlafen? Bekommen wir zum Kaffee Zucker? Wird mittags und abends warm gegessen? Mittags mit Fleisch? Wieviel Liter Milch pro Mann und pro Tag? Haben wir uns Brot und Butter aus eigenen Mitteln zu stellen? Gibt es zum Sonntag Kuchen? -

Gerade an dieser letzten, der Kuchenfrage, ist schon mancher Kontrakt gescheitert, denn das Eichsfeld ist wie kein anderes Land ein Kuchenland. Wohl jedes Haus hat an Sonn- und Feiertagen seinen Kuchen, und die herbstlichen Dorfkirmessen bieten eine vollendete Kuchenausstellung, die in manchen Häusern den Fußboden der Zimmer eines ganzen Stockwerks ausfüllt, als da sind: Topfkuchen, Schmandkuchen, Jüdenkuchen, Aschekuchen, „süße“ Kuchen, nasse Kuchen (mit Kirschen, Pflaumen, Äpfeln, Heidelbeeren) „Zippel“- das sind Zwiebelkuchen usw. Wenn der Kirmesgast abends Abschied sagt, so erhält er von der Frau des Hauses zuvor die „Quittung‘‘ in Form ganzer Pakete von Kuchen.

Finden nun die Fragen der Sprecherin eine befriedigende Antwort, so füllt der Agent seinen Anmeldebogen mit den betreffenden Namen aus und gibt den einzelnen Kandidatinnen das Handgeld. Man läßt ihn auch wohl, um seine Anerbietung in die Höhe zu schrauben, bis zum folgenden Tage zappeln, zuweilen auch erhält er ein kurzes und allseitiges Nein; denn: „O wir müßten „scheene tumm‘' sein, wenn wir uns auf Euren Hof vermieten täten!“

Quelle: Prochaska/Gerlach/Polzin/Hummel: „Eichsfeld – Historie-Heimat-Humor“ 1991 – Bild: Kirchworbis um 1890 (bearbeitet) © Thomas Schuster Heiligenstadt



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