Aus dem Archiv: Ein Stadtbild voller Harmonie
Immer mehr Gäste aus nah und fern entdecken für sich das eichsfeldische Heiligenstadt — jene Kreisstadt im Nordwesten des Bezirkes Erfurt, 260 Meter über dem Meeresspiegel gelegen und von den waldreichen Dün, Iberg und Mittelberg eingeschlossen. Die schöne Lage, aber auch das Vorhandensein eines Kneippbades, wo schon seit über 50 Jahren der Kneipp-Kurbetrieb läuft, waren Veranlassung, der Stadt vor nunmehr 30 Jahren, 1952, die Bezeichnung „Heilbad“ zu verleihen.
Wer Heiligenstadt besucht, der ist angenehm überrascht von dem harmonischen Anblick des Stadtbildes, vom Fleiß der Bürger, mit dem solche neuen Wohngebiete wie „Auf den Liethen“ und Rinne/Brückenweg aufgebaut wurden, von der einladenden Gastronomie. Dem Interessierten begegnen, so er mit offenen Augen durch die Innenstadt mit ihren idyllischen Gassen und der langgestreckten schmucken Karl-Marx-Straße geht, auf Schritt und Tritt Zeugen der Vergangenheit, ja ein reiches Ensemble an historischen Sehenswürdigkeiten.
Die im 12. Jahrhundert erbaute zweitürmige Liebfrauenkirche mit dreischiffigem Hallenbau, die gotischen Portale der Martinskirche und die kunstvollen Altäre und wertvollen Zunftstäbe in der Ägidienkirche werden ebenso seine Aufmerksamkeit finden wie das von 1736 bis 1738 erbaute ehemalige kurmainzische Schloß, heute Sitz des Rates des Kreises. In der Steinstraße befindet sich das älteste Fachwerkhaus, welches gleich dem 1404 im fränkischen Stil erbauten Mainzer Haus von dem großen Stadtbrand im Jahre 1739 verschont und so in seiner Ursprünglichkeit der Nachwelt erhalten blieb.
Die Karl-Marx-Straße, die Hauptgeschäftsstraße der Kreisstadt, selbst ist schon ein Fundus der Urbanistik. Fassaden der verschiedenen Bauepochen — vom Renaissancestil über den Barock bis hin zum Neubau — sind zu sehen. Im Laufe der Jahre entstanden zahlreiche neue Geschäfte, wird derzeit anstelle von abgerissenen Altbauten eine Kaufhalle gebaut und machen Häuser der oberen Karl-Marx-Straße eine „Jungbrunnenkur“ durch. Hier wurde im vergangenen Jahr damit begonnen, im Rahmen einer Taktstraße „Modernisierung“ komplex Haus für Haus zu erneuern. Dabei erhalten die Gebäude entsprechend einer genau ausgearbeiteten Gestaltungskonzeption ein aufeinander abgestimmtes farbiges „Fassaden-Kleid“. Hier und da wurde das ursprüngliche Fachwerk wieder herausgearbeitet. Auch in diesem Jahr wird die Taktstraße „Modernisierung“ fortgesetzt. Aus den Häuserzeilen der Karl-Marx-Straße sei auf zwei Gebäude besonders hingewiesen. In Nr. 52, der jetzigen Verkaufsstelle „Haus der 1000 Dinge“, erinnert eine Tafel daran, daß hier im einstigen Gasthaus „Zum Mohren“ am 5./6. Juni 1801 Johann Wolfgang von Goethe übernachtete.
Eine Gedenktafel macht am Haus Nr. 73 auf keinen Geringeren als den bekannten Dichter und Novellisten Theodor Storm aufmerksam, der bekanntlich von 1857 bis 1864 als Kreisrichter in Heiligenstadt wirkte.
Als Heiligenstadt-Besucher auf „Entdeckungsreise“ wird man sich selbstredend auch die Reste der Stadtmauer anschauen und seine Schritte zum Heimenstein lenken. Hier, unterhalb der Klauskapelle organisieren die Bewohner der Straße alljährlich in der Pfingstwoche ein zünftiges Volksfest, die weithin bekannte Heimensteiner Kirmes. Wochen vor der Kirmes sind viele Hände tätig, um den Festplatz herzurichten und vor allem den traditionellen Festumzug vorzubereiten, der jeweils Darstellungen aus der Stadtgeschichte zeigt. Heiligenstadt zu erkunden, heißt aber auch das Eichsfelder Museum aufzusuchen. Die von Unionsfreund Bode geleitete Einrichtung verdeutlicht in mehreren Ausstellungskomplexen die Entwicklung des Eichsfeldes. Besondere Attraktion des Museums sind die sogenannte Streckersche Vogelsammlung, das wertvolle Deckengemälde im Treppenaufgang und das Storm-Zimmer. Nur wenige Schritte vom Museum entfernt befindet sich das alte Heiligenstädter Rathaus. Im um 1227 erbauten, 1739 ausgebrannten und 1789 wieder instand gesetzten gotischen Bau hatte Thomas Müntzer am 2. und 3. Mai 1525 mit dem Rat der Stadt verhandelt.
Noch vieles mehr könnte an Sehenswertem aus dieser über 1000 Jahre alten Stadt aufgezählt werden. Das großzügig angelegte Kreiskulturhaus „Dr. Theodor Neubauer“ und die vor wenigen Jahren errichtete Stadt- und Kreisbibiliothek gehören ebenso dazu wie die zahllosen neu entstandenen Wohnhäuser und Geschäfte. Die Heiligenstädter tun das Ihrige, daß das historisch Wertvolle wie Neue erhalten bleibt. Dafür spricht u. a. die Zielstellung der Bürger, in diesem Jahr Eigenleistungen in Höhe von 6,5 Millionen Mark zu realisieren.
Quelle: Thüringer Tageblatt vom 26. Januar 1982, Ernst Beck - Bild: Wohnhaus von Theodor Storm in der Wilhelmstraße 1988 © Thomas Schuster Heiligenstadt