Aus dem Archiv: „daß sie den Nacken lernen beugen."
Die Gleichengrafen waren die Vögte der Erfurter
„Ums Jahr 1000 war Erfurt in den Besitz der Erzbischöfe von Mainz gelangt. In den folgenden Jahrhunderten gab es immer wieder Reibereien zwischen ihnen und den Bürgern der Stadt. Im 12. Jahrhundert spitzte sich die Lage zu: 1123 drohte der offene Aufstand, 1142 gab es Straßenkämpfe mit mainzischen Dienstmannen; 1165 eroberte der Landgraf Erfurt und ließ die Stadtmauer einreißen. Die Mainzer boten alles auf, Erfurt zu behalten. 1123 errichteten sie auf dem Domhügel eine Burg, deren einzige Funktion die Unterdrückung der Erfurter war. 1168 wurde die eben zerstörte Stadtmauer wieder hochgezogen. Das Raffinierteste aber mußten die Grafen von Tonna vollbringen.
Die Grafen hatten ihren Stammsitz in der Kettenburg in Grafentonna, in der nächsten Umgebung der Stadt Erfurt. Zwar unterstanden sie der Oberhoheit des Landgrafen, doch die Beziehungen zum Erzstift waren recht gut. Um 1120 besorgte der Erzbischof dem Tonnaer Grafen das Amt als Stadtvogt. Nun übte der die hohe Gerichtsbarkeit aus und war für die befestigte Stadt wie ein Burghauptmann.
So mußte es bei den Erfurtern zu schaffen sein, „daß sie den Nacken lernen beugen."
Um 1130 belehnte der Mainzer die Grafen mit der Wanderslebener Gleiche. Die Burg kontrollierte eine wichtige Handelsstraße nach Erfurt. Spätestens 1162 nannte sich der erste nach der Burg „von Gleichen“. Auch Klöster erhielten Vögte, die sie eigentlich selbst wählten. Für das Peterskloster suchte der Erzbischof den ihm genehmen Mann, und das war eben der Gleichengraf, der bereits in der Stadt seine Interessen durchsetzte.
Neben anderem Besitz im Stadtgebiet hatten die Grafen von Gleichen in Angernähe ihre Residenz, das Haus zum Steinsee (erstmalig 1282 erwähnt). Die Grafengasse erinnert uns noch daran. Unter der Gasse lief ein Gang hinüber in ihre Kirche. Der 1411 bis 1448 neuerrichtete Bartholomäusturm, der jetzt das schöne Glockenspiel beherbergt, erhebt sich an der historischen Stelle.
Tag und Nacht vermochten die Grafen von Gleichen die Stadt zu betreten. Sie besaßen ihr eigenes Stadttor, das (alte) Lautentor. Benannt war es nach ihrem Wappen, einem silbernen Löwen im blauen Feld. Den Bürgern war das Gleichensche Tor verhaßt. Als 1234 der Stadtvogt eine Fehde mit dem Landgrafen verloren hatte, nutzten sie die Gunst des Augenblicks und kauften das Tor. Bald danach wurde es zugemauert. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts verarmten die Herren von Gleichen immer mehr. Dafür war das Stadtbürgertum durch Gewerbe und Handel ökonomisch stärker geworden. Schon 1290 bot der Graf die Vogtei dem Rat der Stadt käuflich an, 1299 trat er von seinem Amt zurück. 1373 endete auch die Vogtei übers Peterskloster. …“
Quelle: Thüringer Tageblatt vom 12.04.1985, Manfred Tittel